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Directors Statement

Angelika Schuster / Tristan Sindelgruber - Persönliche Anmerkungen
(November 2012)
Vor zehn Jahren stellten wir die erste Version der Reihe VERGESSENE OPFER fertig. Wir wollten Biografien und Schicksale von Menschen sichtbar machen, die in der offiziellen österreichischen Geschichtsschreibung keinen Platz gefunden hatten. Das Thema war über 50 Jahre nach Ende der NS-Zeit in Österreich hochaktuell und rührte noch immer an ein Tabu.
Wir sind beide lange nach Ende des Zweiten Weltkriegs geboren und uns war es wichtig, die Geschichte nicht mit 1945 enden zu lassen. Wir wollten sie bis in die Zeit weiterführen, in der wir aufgewachsen waren und lebten und in der die Auswirkungen des mangelhaften und unehrlichen Umgangs mit der NS-Zeit in der Gesellschaft weiterhin präsent waren.

Ein großer Teil der von uns thematisierten Gruppen war zu diesem Zeitpunkt nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt, ihre Verdienste bei der Befreiung Österreichs als PartisanInnen in Kärnten oder als Wehrmachtsdeserteure waren nicht gewürdigt worden. Im Gegenteil.
Die vorherrschende Meinung von Deserteuren aus der deutschen Wehrmacht war jene, dass es sich bei ihnen um Landesverräter handelt.
In der aufgeheizten Stimmung der Volkszählung in Kärnten, in die wir damals platzten, wurden Kärntner SlowenInnen als Banditen bezeichnet und mit großem Aufwand wurde gegen das Ankreuzen von Slowenischkenntnissen mittels Postwurfsendungen mobil gemacht.
Überlebenden der NS-Erziehungsanstalt für Kinder und Jugendliche am „Spiegelgrund“ teilte man bei ihrem Antrag auf Opferfürsorge noch mit, dass sie nicht aus rassischen oder religiösen Gründen eingesperrt waren, sondern aufgrund ihres Verhaltens während der NS-Zeit. Ihre Anträge wurden abgelehnt.
Personen, denen es doch gelang, einen positiven Bescheid zu bekommen, waren Einzelfälle, die meist auf dem - sehr österreichischen - „Gnadenweg“ entschieden wurden.

Obwohl seit der nationalsozialistischen Herrschaft viele Jahre vergangen waren, war die Jahrtausendwende im Nachhinein betrachtet für die Filmreihe ein guter Zeitpunkt.
Die von uns porträtierten Menschen befanden sich zum Zeitpunkt der Interviews in einer Phase des Rückblicks. Ein großer Teil des Lebens war gelebt, die Lohnarbeit vorbei, die Kinder derjenigen, die eine Familie gegründet hatten, waren aus dem Haus.
Die Erinnerungen tauchten wieder auf, die Möglichkeiten, das Erlebte zu verdrängen und sich abzulenken, waren schwieriger geworden. Viele von ihnen hatten ein großes Bedürfnis zu erzählen, waren aber nie gefragt worden. Sie wollten versuchen, das ihnen zugefügte Unrecht öffentlich zu machen, ihre Version der österreichischen Nachkriegszeit erzählen und einen ehrlichen Umgang Österreichs mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit herbeiführen.

Bei einigen von ihnen, wie Richard Wadani, Friedrich Zawrel, Franz Smrtnik und Erwin Widschwenter war es das erste Mal, dass sie sich vor eine Kamera begaben und erzählten. Heinrich Ehlers hatte bei einer ORF-Reportage mitgemacht, seine Lebensgeschichte in dem Umfang jedoch noch nie erzählt. Ihre Offenheit, die Unmittelbarkeit und Intensität ihrer Erzählungen hat uns beeindruckt und war für uns als FilmemacherInnen ein Geschenk.

Bei der Suche nach unseren ProtagonistInnen wurden wir von einer Vielzahl an Einzelpersonen und Organisationen, wie der HOSI Wien, dem Personenkomitee „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“ und dem Nationalfonds der Republik Österreich unterstützt. Sie haben Kontakte hergestellt, für uns „gebürgt“ und waren maßgeblich am Zustandekommen der Reihe beteiligt.
Weder ihnen noch uns ist es jedoch gelungen, eine Frau zu finden, die zu einer der genannten Opfergruppen (oder einer anderen nicht anerkannten) gehörte, die bereit gewesen wäre, uns im Beisein einer Kamera ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Die außerdem nicht bereits Protagonistin eines anderen Films war und es uns vertretbar schien, für ein Filmprojekt in ihre private Lebensgeschichte einzutauchen. In einem Fall entschieden wir uns gegen ein Interview und stellten einen Kontakt zu ESRA her, einem psychosoziales Zentrum für Opfer der Shoah, das u.a. auch Überlebende des Spiegelgrunds betreut. Für uns ist es ein großer Wermutstropfen, dass in der Reihe keine Frauen vorkommen. Wir wollen jedoch nicht verschweigen, dass es überhaupt schwierig war, Protagonisten für ein so breit angelegtes Projekt wie dieses zu finden. Die Zeitspanne war zu lang und die im Nachkriegsösterreich erlebten Demütigungen und Diskriminierungen waren zu groß gewesen.

In einer Gesellschaft, die über einen so langen Zeitraum auf diese unehrliche und unwürdige Art agiert, finden sich Spuren.
Wer sich die Reihe ansieht, wird Erklärungen finden, warum beispielsweise ein „Heimskandal“ in öffentlichen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche bis weit in die 70er Jahre stattfinden konnte und erst jetzt aufbricht. Warum eine „Ortstafelregelung“, die unserer Meinung nach außerdem eine sehr halbherzige ist, in Kärnten erst jetzt nach vielen Jahrzehnten ausgehandelt werden konnte.
Und man stellt sich die Frage, wie viele Leben durch Gewalt, Diskriminierungen, Schikanen und Ignoranz mit denen die österreichische Nachkriegsgesellschaft und -politik NS-Opfern begegnete, zerstört wurden.

Wer sich Gedanken über die österreichische Gesellschaft der letzten Jahrzehnte macht, wird in dieser Reihe viele Antworten finden.

Nun, zehn Jahre später hat sich vieles zum Positiven verändert.
Gesetze wurden verabschiedet und die genannten Gruppen wurden in der Zwischenzeit vom offiziellen Österreich alle als NS-Opfer anerkannt, ihr Beitrag für ein freies Österreich im Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz 2009 offiziell gewürdigt.

Die aktualisierte und überarbeitete Reihe soll auch dieser zwar späten aber wichtigen Entwicklung Rechnung tragen.